Im folgenden sind die Folien von Stefan Meretz und Uli Weiß dokumentiert, die zu diesem Workshop vorbereitet wurden. Ein weiterer Beiträge zum Workship war von Willi Hajek vorbereitet worden.
Stefan Meretz: Zum "Empire" von Michael Hardt und Toni Negri -- Eine Einführung anhand der wichtigsten Begriffe
Empire
- neue Form der Souveränität
- = neue Logik und Struktur der Herrschaft
- früher: nationalstaatliche Souveränität
- heute: imperiale Souveränität
- Leitfragen:
- Wie konstituiert sich das Empire?
- Welche Gegenkräfte gibt es im Empire?
- Hardt/Negri:
- "Die Menge rief das Empire ins Leben"
Multitude (Menge)
- Begehren
- Seinsbestimmung des Menschen
- Grundlage der individuellen Produktivität
- "Die Menge ist..."
- "eine Vielfalt, ein Feld von Singularitäten,"
- "ein offenes Beziehungsgeflecht, das nicht homogen oder mit sich selbst identisch ist,"
- "sondern ein indistinktes, einschließendes Verhältnis zu denen, die außerhalb stehen, besitzt."
- Gegensatz
- Volk, Masse, Klasse
Biomacht - Biopolitik
- Begriff von Foucault
- Übergang Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft
- Disziplinargesellschaft: "statische Fremdkontrolle"
- Etablierung disziplinärer "Vernunft" durch Institutionen
- wie Gefängnis, Fabrik, Heim, Klinik, Uni, Schule
- Kontrollgesellschaft: "generative Selbstkontrolle"
- Herrschaftsmechanismen sind "demokratisiert" und internalisiert
- Kontrolle der Köpfe und Organisation der Körper
- produziert einen Zustand autonomer Entfremdung
- "Biomacht"
- "ist eine Form, die das soziale Leben von innen heraus Regeln unterwirft, es verfolgt, interpretiert, absorbiert und schließlich neu artikuliert."
Formelle und reelle Subsumtion
- ...der Arbeit: Begriff von Marx
- formell: äußerliche Unterordnung der Arbeit unter das Kapital
- reell: Einschluss der Arbeit in den kapitalistischen Prozess
- ...des sozialen Bios: Begriff von Hardt/Negri
- formell: Disziplinargesellschaft
- reell: Kontrollgesellschaft
- Hardt/Negri nennen
- den Übergang von der formellen zur reellen Subsumtion auch
- Übergang vom vermittelten zum unmittelbaren Verhältnis zwischen Macht und Subjektivitäten
- Hardt/Negri sehen
- neben der repressiven auch eine produktive Dimension von Biomacht (biopolitische Produktion)
Immanenz - Transzendenz
- duales Begriffspaar
- immanent = diesseitig, innewohnend, unmittelbar
- transzendent = jenseitig, überschreitend, vermittelnd
- Entdeckung im Spätmittelalter
- Sein nicht bestimmt von fremder transzendenter Macht
- sondern von eigener immanenter Handlungsmacht
- Hardt/Negri:
- "Die europäische Moderne nahm ihren Anfang, als die Menschheit ihre Macht in der Welt entdeckte und diese neue Würde des Menschen zu einem neuen Bewusstsein von Vernunft und Möglichkeit führte."
Zwei Spielarten der Moderne
- Macht der Revolution
- Immanenz Paradigma für Welt und Leben
- das Begehren der Menschen steht im Mittelpunkt
- Kraft der Ordnung
- Kontrolle der Revolution durch Etablierung von Ordnung
- transzendente konstituierte Macht gegen immanente konstituierende Macht
- Krise der Moderne
- "Konflikt zwischen den immanenten, konstruktiven und schöpferischen Kräften..."
- "und der transzendenten Macht, welche die Ordnung wiederherstellen will"
Souveränitätsmaschine
- Repräsentation
- Übertragung der autonomen Macht auf eine souveräne Macht
- Entfremdung der repräsentierenden Macht von der Menge
- => Konstitution der Transzendenz des Souveräns (Staat)
- Synthese von Souveränität (Staat) und Kapital
- produziert die Gesellschaft
- konstituiert die "geordnete Totalität" der Menge
- ist die "Geburtsstunde der Biomacht"
Informationelle Ökonomie
- Drei Paradigmen der Ökonomie
- Landwirtschaft: Gewinnung von Rohstoffen
- Industrie: Herstellung haltbarer Güter
- Postindustrie: Dienstleistungen und Informationen
- Immaterielle Arbeit
- Arbeit, die Dienstleistungen, Kultur, Wissen oder Kommunikation produziert
- Kooperation ist der Arbeitstätigkeit immanent
- Drei Typen
- Informatisierung der industriellen Produktion: materielle Realisierung ist Anhang der immateriellen Steuerung
- Analytische Tätigkeiten und Manipulation von Symbolen
- Produktion und Handhabung von Affekten
- "Selbstverwertung" (Oekonux: Selbstentfaltung)
- "Heute haben Produktivität, Reichtum und das Schaffen eines gesellschaftlichen Surplus die Form der kooperativen Interaktion angenommen, die sich sprachlicher, kommunikativer und affektiver Netzwerke bedient. Indem sie ihre eigenen schöpferischen Energien ausdrückt, stellt die immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art des spontanen und elementaren Kommunismus bereit."
- Privateigentum
- begriffliche Krise: es gibt immer weniger exklusiv zu besitzen
- rechtliche Universalisierung: Eigentum wird zu einem "immer stärker abstrakten und transzendentalen Begriff"
- "Rousseau merkte an, dass die erste Person, die ein Stück Natur als ihr eigenes und ausschließliches Besitztum beanspruchte und ihm die transzendente Form des Privateigentums gab, das Böse erfand. Gut hingegen ist das, was gemeinsam ist."
Die Pyramide
- Spitze der Pyramide: "Monarchie" (=>Bombe)
- die eine Supermacht: USA
- weitere führende Industriestaaten: G7 usw.
- Vereinigungen militärischer/monetäre Führung: IWF, NATO...
- Zweite Stufe: "Aristokratie" (=>Geld)
- Netzwerke aus Kapitalströmen, Technologieströmen, Migrationsströmen
- souveräne Nationalstaaten: lokale, territorialisierte Organisationen
- Fuß der Pyramide: "Demokratie" (=>Äther)
- Nationalstaaten, die die Menge in ein Volk verwandeln
- Agenturen der globalen Zivilgesellschaft: Medien, Religionsgemeinschaften
- Populäre Organisationen der Zivilgesellschaft: NGOs
Generation und Korruption
- Generation = Erzeugung
- "Von Begehren getragene Produktion ist Generation oder vielmehr der Exzess von Arbeit und die Akkumulation einer Macht, welche als deren Ursache und deren Erfüllung in die kollektive Bewegung singulärer Wesen einbezogen wird. (394)"
- Korruption = Negation der Generation
- Eckpfeiler und Schlüsselelement von Herrschaft
- "die machtvolle Leere der Indifferenz"
- Beispiele von Korruption
- individuelle Wahl (??)
- Ausbeutung und Privatisierung von Öffentlichem
- Pervertierung der sprachlichen Kommunikation
- Terrordrohungen als Regierungspraxis
Die drei Rechte
- Das Recht auf eine Weltbürgerschaft
- Selbstkontrolle der Bewegungen der Menge
- Das Recht auf einen sozialen Lohn
- Biopolitische Produktion der Menge ist allgemein
- =>garantiertes Einkommen für alle (Bürgereinkommen)
- Das Recht auf Wiederaneignung
- Freier Zugang zu und Kontrolle über Wissen, Information, Kommunikation und Affekte: Wiederaneignung der Produktionsmittel
Uli Weiß: Neue Gesellschaft denken
Gedanken aus Empire
- Empire konfrontiert Individuen "nicht mehr mit lokalen Vermittlungen eines Universellen ..., sondern mit einem konkreten Universellen" 35
- alle sozialen Kämpfe, "in lokalen Verhältnissen fest verankert [springen] ... sofort auf die globale Ebene und greifen die Konstitution des Empire ganz allgemein an" 69
- Unterscheidungen zwischen ökonomischem und politischem Kampf aufgehoben
- "Einsatz ist die Lebensform" 69, die direkte Konstitution neuer Formen von Gemeinschaften
UW: Absorption des (wertrelevanten) Lebens durch individuelle (Selbst-)Kontrolle drängt jede unmittelbare Lebensregung zur Begründung einer solchen Praxis, die eine Keimform der Aufhebung von Wertvergesellschaftung ist = Revolution
neue Gesellschaft durch Klassenkämpfe?
- Klassenkämpfe: Individuen nehmen als Klassenindividuen an Konstitution/Entwicklung von Gesellschaften teil
- kapitalistischer Werkalltag bestimmt Interessen, Möglichkeiten und Kampfformen ihrer Durchsetzung ebenso deren Begrenztheit auf innerkapitalistische Entwicklungen
- geschichtsmächtige Kampfstrukturen der Arbeiterbewegung = Spiegelbilder kapitalistischer Produktionsweise, kein darüber hinausgehendes Moment
- Klassenkämpfen können zu partieller Emanzipation führen, nicht in klassenlose Gesellschaften
- Real-"Sozialismus": Gesellschaften als durchorganisierte Konzerne entworfen (Lenin, Dt. Post, dt. Kriegswirtschaft) = Herrschaft der (Politischen) Ökonomie über die Gesellschaft nicht umgekehrt
die Praxis freier Software
- nichtwarenförmige Herstellung nützlicher Produkte zur freien Verfügung
- weiter Begriff: eine Lebensform (Benni Bärmann)
- UW: als Lebensform eine Keimform einer neuen Gesellschaft - für den alten ML unbegreifbar (Marx vs. Marx)
- Revolutionstheorie ist "unwiderruflich überholt; [stattdessen] ... Strategie einer konstituierenden Gegenmacht, die aus dem Innern des Empire kommt" 72
Charakteristika einer Ökonomie des Schenkens und Nehmens
- das für die das entscheidende menschliche Bedürfnis des Produzenten ist auf die Tätigkeit selbst gerichtet, nicht auf einen Lohn bzw. fremden Zweck
- das Produkt steht anderen Menschen frei zur Verfügung, dessen Aneignung durch den Nutzer zwingt diesen nicht zur Lohnarbeit
- Produzenten und Konsumenten sind durch keine äußeren Zwecke getrennt
- Produzenten und Konsumenten treten sich als Menschen gegenüber
- nur eine solche Ökonomie kann die materielle Grundlage allgemeinmenschlicher Emanzipation sein
Ökonomie des Schenkens und Nehmens als untergeordnete menschliche Basis der Gesellschaft
- durch alle Formationen hindurch: relativ autonome Familienstrukturen sichern Reproduktion menschlichen Lebens
- eingebunden in die jeweiligen Gesellschaften sind diese immer deren Charakter unterworfen
- zugleich: Akteure treten sich als Menschen und nicht als ökonomische Charaktermasken (Unternehmer - Lohnarbeiter) gegenüber = ihre Binnenstruktur ist durch eine Ökonomie des Schenkens und Nehmens bestimmt
- diese Strukturen und Ökonomien waren immer gesellschaftliche Existenzvoraussetzungen, konnten aber in ihrer menschlichen Substanz nie gesellschaftsbestimmend werden (Wiedertäufer, Hutterer usw. scheiterten oder existieren in antimoderner bzw. antibürgerlicher Abgeschlossenheit und Askese weiter; Klassenspaltungen und -kämpfe blieben Triebkräfte zivilisatorischer Entwicklung)
- die Bedürfnisse der unmittelbaren menschlichen Reproduktion und die gesamtgesellschaftlichen Voraussetzungen und Formen ihrer Befriedigung lagen bisher in einem unaufhebbaren Konflikt, der nur auf barbarische Weise vermittelbar war
Ökonomie des Schenkens und Nehmens als potentiell geschichtsmächtige Kraft
- Produktion und Lebensform freier Software erfüllt o.g. Kriterien einer Ökonomie des Schenkens und Nehmens
- eine solche Ökonomie kann nur geschichtsmächtig werden, wenn sie (ohne Preisgabe zivilisatorischer Errungenschaften) die materiellen Voraussetzungen menschlichen Lebens zu sichern vermag
- einige Voraussetzungen für eine Verallgemeinerbarkeit dieser Lebens- und Tätigkeitsform:
- tayloristisch-fordistische Strukturen ist aufgelöst oder auflösbar
- dramatische Änderungen im Charakter der Arbeit (allgemeine, schöpferische, virtuelle Arbeit wird bestimmend)
- gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit reduziert sich drastisch = gesellschaftlicher Reichtum ist nicht mehr Funktion der verausgabten Arbeitszeit, sondern der Entfaltung von Individualität der unmittelbaren Produzenten und deren Fähigkeit zu selbständiger sozialer Kooperation
- Wertproduktion verliert ihre zivilisatorische Potenz; ein Menschheitstraum wird realisierbar: reiche Bedürfnisbefriedigung bedarf nicht mehr der knechtenden Formen einer das ganze Leben ausfüllenden (Lohn-)Arbeit
- die alte bürgerlich-proletarische Arbeitsmoral zerfällt
noch marginal aber doch verbreitet drängen Menschen nach neuen Lebensformen
- Problem: diese Voraussetzungen einer neuen Gesellschaftlichkeit werden immer wieder der Verwertung unterworfen
- Resultat: statt Befreiung findet eine weitere Absorption des (wertrelevanten) Lebens durch individuelle (Selbst-)Kontrolle statt
- Individuen durchbrechen massenhaft ihre der (Selbst-)Unterwerfung unter die Wertvergesellschaftung erst dann zugunsten selbstbestimmten Lebens, wenn sie in letzterem ihre materielle Existenz gesichert sehen
Der "Einsatz ist die Lebensform"
- Akteure der freien Software und Nutzer ihrer Produkte stehen im Konflikt zwischen möglicher allgemeinmenschlicher Emanzipation und tatsächlicher kapitalistischer Vergesellschaftung
- den partiell von knechtender Lohnarbeit befreiten Nutzern erwachsen zusätzliche Möglichkeiten zu eigenen freien produktiven Selbstbestätigung, zur Teilhabe an einer Kultur des Nehmens und Schenkens
- bürgerliche Rechtsprinzip des äquivalenten Austauschs wird tendenziell ausgehebelt, jedoch nicht als schlichte Verweigerung wertförmiger gesellschaftlicher Beziehungen (Warenbesitzer, -produzenten und -konsumenten), sondern als unmittelbares Schaffen von Lebens- und Arbeitsformen, durch die sich reich entwickelte Individuen materielle und geistige Existenzvoraussetzungen schaffen können
- der Verwertungslogik des Empire - Absorption des gesamten Lebens durch individuelle (Selbst-)Kontrolle - steht mit der freien Software-Produktion und -Lebensform eine positive Aufhebung der G-W/W-G' Logik entgegen: eine Logik des Lebens
- Konfliktlinien verlaufen hier nicht entlang von Klassen(-Interessen), sondern sind in die Individuen hinein verlagert, die (vorerst) unvermeidbar an beiden Lebensformen teilhaben
- neue Qualität des alten Konflikts (unmittelbar menschliche Bedürfnisse vs. gesellschaftliche Bedingungen ihrer Befriedigung): den Zumutungen kapitalistischer Vergesellschaftung wird kein nostalgischer Protest entgegengesetzt, sondern positive Alternativen zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft auf der Höhe ihrer zivilisatorischen Errungenschaften
Systemsprengende Parallelität von prä- und postkapitalistischen Lebenspraxen
- Freie Software-Produktion hebt die Unterordnung von Nutzern unter fremde Zwecke partiell auf und setzt neue Lebensformen. Damit eröffnet sie auch bisher o.g. geschichtslosen Formen unmittelbarer menschlicher Reproduktion einen geschichtlichen Raum: Mit ihren menschlichen Potenzen können diese zur Konstitution allgemeinmenschlicher Emanzipation beitragen
- ein altes Problem: Marx zur Mir (vorkapitalistische russische Dorfgemeinde)
- russische Bauern seien geborene Sozialisten, können aber selbst keine sozialistische Gesellschaft begründen; der fortschreitende Kapitalismus zersetzt diese, die Verteidigung der Mir erscheint reaktionär
- die eine aus dem Kapitalismus hervorgehende und siegreiche westeuropäische Arbeiterbewegung kann jedoch den schlummernden sozialistischen Potenzen der Mir Geschichtsmächtigkeit verleihen; Kraft der historische Parallelität kann die Mir zur Konstitution einer neuen Gesellschaft befähigt werden
- Marx' Irrtum: westliche Arbeiterbewegung sei diese Praxis, durch die auch vormoderne Formen unmittelbarer menschlicher Reproduktion zu Keimformen und Triebkräften allgemeinmenschlicher Emanzipation werden
- Marx' Aktualität: Potenzen der heutigen Parallelitäten von vor- und nachkapitalistischen Ökonomien des Schenkens und Nehmens
Empire hilft neue Gesellschaft zu denken, wenn...
- Lohnabhängige sind in Arbeit, Konsumtion und in Gewerkschaftskämpfen Hauptträger und Triebkraft des globale herrschenden automatischen Subjekts
- die posttayloristisch-postfordistische Produktionsweise drängt Produzenten schöpferische und kooperative Fähigkeiten vollständig zu nutzen = damit entstehen geistige und materielle Voraussetzungen menschlicher Formen der Vergesellschaftung allerdings in barbarischen Formen: Ich-AGs entwerfen sich nicht als Menschen, sondern als Verwertungsmaschinen
- insofern sie zugleich in Strukturen unmittelbarer menschlicher Bedürfnisbefriedigung (Familien, freie Software) engagiert sind, ermöglichen solche Voraussetzungen den Akteuren eine Ökonomie des Schenkens und Nehmens auf hohem Niveau
- eingebunden in verschiedene Praxen, sind die Individuen die Träger des entscheidenden Widerspruchs: In der einen treiben sie das Empire in seiner zivilisationsvernichtenden Dynamik an und die agierenden Individuen in die Situation vereinzelter Einzelner. In der anderen Praxis konstituieren bzw. erneuern sie gemeinschaftliche Lebensformen, greifen damit unmittelbar und direkt "die Konstitution des Empire ganz allgemein an" 69.
- Wertförmigkeit von Produktion und sozialen Beziehungen vs. unmittelbare menschliche Bedürfnisbefriedigung durch eine Kultur des Schenkens und Nehmens - der Unterschied ums Ganze.
- Negri/Hardt problematisieren dies Kriterium nicht, das beide Praxisformen unterscheidet und entgegensetzt; wird der in Empire fehlende Wertbegriff mitgedacht und auf konkrete Praxisformen (freie Software u.a.) bezogen, dann sind Empire-Aussagen sehr hilfreich, die emanzipatorischen Potenzen freier Software und damit Keimformen einer neuen Gesellschaft zu erkennen. Dann bekommt auch die Aussage einen Sinn, dass "das Empire die grausamen Regime moderner Macht wegwischt und sich dabei das Potenzial der Befreiung verstärkt" 57 Ansonsten erscheint Empire als Beschreibung eines automatisch ablaufender Prozess in Richtung Befreiung, auf die mit verschränkten Armen zu warten ist.
Handlungsoptionen
- Lebensperspektive nicht mehr an die Verteidigung alter Kapitalismus- und Staatsformen binden, sondern an Schritte zu deren Aufhebung
- an jedem Punkt Lebensinteressen gegenüber dem "Es muss sich rechnen" zur Geltung bringen
- zugleich alle dem Kapitalismus (noch) möglichen und einst erkämpften Möglichkeiten (alle Alimentierungsformen, auch Einkommen durch Lohnarbeit) nutzen, um so weit wie individuell oder kollektiv möglich, aus der kapitalistischen (Wert-)Form aus- und in die Bedürfnisbefriedigung in der Form freier Assoziationen einzusteigen
- neu entstehende Möglichkeiten, Produkte und Fähigkeiten, die noch in kapitalistischer Form entwickelt, direkt zur Bedürfnisbefriedigung einzusetzen
- innerhalb freier Assoziationen und in ihren Vernetzungen alle bürgerliche Verrechtlichung und sonstige Entfremdungsformen zugunsten von Lebensformen des Schenkens und Nehmens aushebeln
- die damit verbundene Zerrissenheit der Individuen voll annehmen; einen offenen Diskurs über Lebensformen, über menschliche Bedürfnisse, über Maßstäbe des materiellen und kulturellen Reichtums führen
Einwände
- Wertproduktion subsumiert solche auf die unmittelbare Bedürfnisbefriedigung gerichteten Lebensformen, gewinnt daraus neue Kraft, Freie-Software-Freaks leben letztlich von Verwertung (Stipendium, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, Erbschaft, familiärer Unterhalt, partielle Lohnarbeit); sie sind begehrte Verwertungsobjekte, bemerkenswerte Leistungen in der freien Software-Produktion heben den Wert ihrer Arbeitskraft, was von den Akteuren z.T. auch ausgenutzt wird
- historische Erfahrungen: gescheitert sind alle alternativen Projekte (kommunistische Ketzergemeinden usw.), alle Versuche, unmittelbar menschliche Lebensformen zu leben und diese gesellschaftsmächtig werden zu lassen
- Verweise auf politische und militärische Macht, die dem unmittelbaren Ringen für allgemeinmenschliche Emanzipation entgegenstünde.
- ernste Einwände, begründen historischen Pessimismus oder die traditionelle marxistischer Argumentation: Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaft kann nur über die Eroberung der politischen Macht erfolgen
Antworten
- historisch und logisches Dilemma des Hoffens auf die historische Mission der Arbeiterklasse und die Diktatur des Proletariats; Sinn des einst geschichtsmächtigen Optimismus, der mit diesen Vorstellungen verbunden: (nachholende) Entwicklungsrevolutionen innerhalb der bürgerlichen Epoche. Das hat sich mit den zivilisatorischen Potenzen dieser Epoche erledigt. Festhalten daran: der wirkliche Pessimismus
- zur Machtfrage Darstellung Inneres - Äußeres in Empire nutzen: Verständnis dafür fördern, was das Wesentliche an der Geschichtsmächtigkeit des Kapitalismus war: bei aller Barbarei war die kapitalistische Formierung ehemals nichtkapitalistischer Verhältnisse mit der Chance eines zivilisatorischen Fortschritts für einen Großteil der Menschen verbunden. Begreifen, dass genau diese Kraft zur Konstitution von Gesellschaft erschöpft ist. Verstehen, dass sich beides (Einbindung in Kapitalverhältnisse und Sprengung dieser) heute in der inneren Widersprüchlichkeit solcher frei assoziierter Individuen darstellt, die aus unmittelbaren menschlichen Bedürfnissen heraus gemeinschaftlich ihre Möglichkeiten für ein nichtwertförmiges Leben und Arbeiten aktiv nutzen und so für sich und andere Menschen materielle und kulturelle Elemente einer neuen Gesellschaft konstituieren.
- Trotz der Tendenz zu scheitern oder zu ganz normalen kapitalistischen Unternehmen zu werden, entstehen auch in den Metropolen immer wieder alternative Versuche, häufig (Land-)Kommunen am Rande der ökonomischen Reproduktionsprozesse. Trotz häufig entgegengesetzter Rhetorik und Rückgriffen auf vormoderne Ideologien, gehen diese Versuche hier nicht aus der Verteidigung vorkapitalistischer Verhältnisse hervor. Sie bringen vielmehr menschliche Lebensbedürfnisse gegenüber spätkapitalistischen Widersprüchen zur Geltung. Auch solchen Suchbewegungen vermögen Lebensformen der freien Software und deren Produkte einen starken geistigen Impuls zu verleihen und zugleich partielle materielle Bedingungen ihrer Existenz sichern zu helfen.
Benni Bärmann: Freie Software im Empire
Seit einiger Zeit sorgt ein Buch für ziemlich großes Aufsehen, nämlich Empire von Michael Hardt und Antonio Negri. Spätestens seit dem die deutsche Übersetzung erschienen ist, gibt es auch hierzulande einen regelrechten Hype um das Buch und inzwischen kann man auch schon einen Gegen-Hype feststellen, weil am laufenden Band Verrisse erscheinen. Ich will das jetzt nicht im Einzelnen wiedergeben, wer sich dazu ein Bild machen will, sollte vielleicht einfach mal mit Empire, Negri und Hardt googlen und wird genügend Lesestoff finden. Alle Seitenangaben im Folgenden beziehen sich auf die deutsche Ausgabe.
Nachdem ich das Buch tatsächlich gelesen habe (Uff!), möchte ich einfach mal ein paar Punkte in die Runde werfen, von denen ich denke, dass sie für unsere Diskussion interessant sein könnten um so eine hoffentlich rege Diskussion anzustoßen, explizit auch mit denen, die das Buch nicht gelesen haben. Das werden ja die meisten sein, alleine schon, weil es fette 450 Seiten mitbringt. Deswegen auch zuerst eine
ultrakurze Zusammenfassung.
Empire ist die Beschreibung für die Weltordnung in der wir leben. Die Macht hat kein Zentrum mehr, sie ist vielmehr überall, sie durchzieht unser Leben als Biomacht, die Nationalstaaten verlieren an Bedeutung, Kriege werden zu Polizeiaktionen, es wird immateriell und vernetzt produziert. Die Institutionen der Disziplinargesellschaft (Schule, Gefängnis, Klinik, ...) verlieren ihre Begrenzung und werden über die ganze Gesellschaft ausgedehnt und daraus bildet sich die allgegenwärtige Kontrollgesellschaft. Das Empire kennt kein Außen mehr, es umfasst die ganze Welt, das ganze Leben.
Dennoch ist seine Macht nur scheinbar. Das Empire kann immer nur reagieren auf die Aktionen der Multitude (Menge, Vielheit). Sie ist es, die kreativ und produktiv ist und dadurch das Empire erst erschafft. Das Empire ist nichts ohne die Multitude.
Da es kein Außen mehr gibt ist jede Politik, die sich auf einen Standpunkt außerhalb des Empire bezieht verfehlt, statt dessen gilt es die Multitude zu sich selbst kommen zu lassen und so das parasitäre Empire abzuwerfen und den Kommunismus zu erreichen. Dies geschieht im Prozess der Durchsetzung dreier Rechte, die da sind: Weltbürgerschaft, sozialer Lohn und Wiederaneignung.
Soweit meine Extrem-Eindampfung. Im folgenden will ich auf ein paar Aspekte näher eingehen, die für die Oekonux-Diskussion besonders interessant sind.
Immaterielle Arbeit
In der Postmoderne hat sich die Produktionsweise verändert, sie wird zunehmend immateriell. Es gibt drei Typen immaterieller Arbeit:
- industrielle Arbeit
In der herkömmlichen industriellen Arbeit werden immer mehr Tätigkeiten automatisiert, so dass ein Großteil an Tätigkeiten übrig bleibt, der kommunikativ und abstrakt ist. Fabber bzw. Rapid Prototyping oder auch Franz global-lokale Eigenarbeit-Netzwerke wären ein Beispiel dafür. - abstrakte Arbeit
Noch weiter geht die Immaterialisierung bei der abstrakten Arbeit. Dieser Arbeitstypus ist aufs engste mit dem Computer verbunden. Arbeit ist nur noch kommunikativ-vernetzte Symbolverarbeitung. Programmieren fällt sicher darunter. - affektive Arbeit
Darunter sind alle Arbeiten zu verstehen, die Gefühle oder Identitäten produzieren. Darunter fällt Hausarbeit und Krankenpflege genauso wie Werbung und Show-Business.
Die Gemeinsamkeit dieser drei Typen beschreiben Hardt und Negri so:
In jedem dieser Typen der immateriellen Arbeit steckt die Kooperation bereits vollständig in der Form der Arbeit selbst. Immaterielle Arbeit beinhaltet unmittelbar soziale Interaktion und Kooperation. Der kooperative Aspekt der immateriellen Arbeit wird mit anderen Worten nicht von außen aufgezwungen oder organisiert, wie es in früheren Formen von Arbeit der Fall war, sondern die Kooperation ist der Arbeitstätigkeit vollkommen immanent. (...) Heute haben Produktivität, Reichtum und das Schaffen eines gesellschaftlichen Surplus die Form der kooperativen Interaktion angenommen, die sich sprachlicher, kommunikativer und affektiver Netzwerke bedient. Indem sie ihre eigenen schöpferischen Energien ausdrückt, stellt die immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art des spontanen und elementaren Kommunismus bereit. (S. 305)
Die Kommunikationstechnologien - allen vorran das Internet - führen zu einer Dezentralisierung dieser informationalisierten Produktion. Zentralisiert wird hingegen die Kontrolle über die Prozesse in den neuen global citys.
Das neue an der neuen Informationsinfrastruktur ist die Tatsache, dass sie in die neuen Produktionsprozesse eingelassen und ihnen vollständig immanent ist. Information und Kommunikation führen die heutige Produktion an, und sie sind die eigentlich produzierten Waren; das Netzwerk selbst ist Ort der Produktion wie der Zirkulation. (S. 310)
Dies alles kumuliert in: Die Begründung des Privateigentums, dieses Begriffs der klassischen Moderne, löst sich so in der postmodernen Produktionsweise in gewisser Hinsicht auf. (S. 313)
Das alles sind ganz ähnliche Gedanken, wie sie im Oekonux-Projekt entwickelt wurden. Die Formel Freie Software = Selbstentfaltung + Internet bezeichnet etwas ganz ähnliches. Produktion und Distribution fallen im Internet zusammen, aus Produzenten und Konsumenten werden Prosumenten, Selbstentfaltung wird zur Produktivkraft, Selbstentfaltung und Selbstverwertung stehen im Widerspruch (Vorsicht: in Empire wird Selbstverwertung anders verwendet als bei uns, eher in Richtung Selbstentfaltung), Intellectual Property Rights sind absurde Versuche Verwertung wieder einzuführen und dies alles ist eine Keimform für eine nicht-wertförmig organisierte Gesellschaft. Zur netzwerkartigen Produktionsweise Freier Software hab ich ja andernmails gerade etwas geschrieben.
Was ich aber am Ansatz der immateriellen Arbeit bevorzuge ist seine größere Reichweite. Er bezeichnet eine ganze Palette von Phänomenen und Freie Software ist unter dieser Perspektive nur noch ein weit fortgeschrittenes Beispiel einer umfassenderen Sicht. Besonders deutlich wird das im Fall der affektiven Arbeit. Während wir die beiden anderen Typen immaterieller Arbeit schon ausführlich diskutiert haben, kam affektive Arbeit bisher bei uns kaum vor. Interessant wären dabei zwei Fragen, nämlich einmal wo in der Produktion Freier Software affektive Arbeit auftritt (Tux, M$-Bashing, Hackerkultur, ...) und zum anderen, wo es im weiten Feld affektiver Arbeit Projekte gibt, die ähnlich arbeiten wie Freie Software. Auch ein weiterer Grund, sich Freie Musik (oder Filesharing als Vorform davon) nochmal ganz genau anzugucken.
Wenn wir also ernsthaft an der Frage arbeiten wollen ob die Prinzipien der Entwicklung Freier Software eine neue Ökonomie begründen können, die als Grundlage für eine neue Gesellschaft dienen kann (siehe www.oekonux.de), ist es meiner Meinung nach angesagt nicht nur unsere theoretische Sichtweise auf Freie Software zu versuchen zu verallgemeinern, sondern auch umgekehrt umfassendere Sichtweisen auf das Beispiel Freie Software zu spezialisieren. Und Immaterielle Arbeit bietet da eine hervorragende theoretische Herangehensweise, denke ich.
Wertkritik und (Post-)Operaismus
Wie ich gerade gelernt habe (nicht aus Empire, sondern von meinem Freund Bodo) scheint es im neueren Marxismus zwei Traditionen zu geben, eine wertkritische und eine operaistische. Empire ist sozusagen die aktuellste Version der operaistischen Sicht, diese Richtung wird meist als Postoperaismus bezeichnet, weil sie zusätzlich Gedanken von postmodernen Philosophen benutzt. Krisis ist ein bei uns bekannter Vertreter der wertkritischen Sicht. Worin unterscheiden sich diese beiden "Schulen"?
Für die wertkritische Schule ist die treibende Kraft hinter dem Kapitalismus das Wertgesetz. Ein abstrakter Mechanismus regiert die Menschen. Alles ordnet sich dem Gesetz aus Geld mehr Geld zu machen unter. Stefan Meretz nennt das immer die kybernetische Maschine.
Ganz anders die Operaisten: Für sie ist die Geschichte immer eine Geschichte sozialer Kämpfe. Es sind immer "die Leute", "das Proletariat" oder eben "die Multitude" die agieren und alle Veränderungen bewirken. Wenn auch - und das ist wichtig - unter nicht von ihnen gewählten historischen Bedingungen. Das Kapital oder eben das Empire reagieren nur, passen sich an, um ihre Herrschaft aufrecht erhalten zu können.
Bei Marx finden sich wohl beide Sichtweisen (sagt Bodo, ich selbst hab fast keinen Marx gelesen) und tatsächlich erscheint es mir ziemlich offensichtlich das in einem noch näher zu bestimmenden Sinn beide Sichtweisen "richtig" sind. Darin spiegelt sich wohl letztlich die Verfassung des Menschen als ein Wesen, dass einerseits die gesellschaftlichen Verhältnisse bestimmt aber eben auch von ihnen bestimmt wird.
Etwas näher kommen wir diesen Problemen vielleicht, wenn wir uns angucken, was die spezifischen Schwächen der beiden Ansätze sind.
Um es platt zu sagen: Wertkritiker neigen dazu, zu schwarz zu sehen. Das allmächtige Wertgesetz hat uns fest im Griff und ein Aussteigen ist zwar theoretisch möglich aber man wird immer den Eindruck nicht los, dass es von Aufsatz zu Aufsatz, von Gedanke zu Gedanke schwieriger wird. Das liegt meiner Meinung nach daran, dass sie ihre Analyse von einem äußeren Standpunkt, der sozusagen außerhalb des Wertsystems steht und von dem aus man vermeintlich die Wahrheit erkennen kann aus starten und dann nach und nach feststellen, das ihnen dieser äußere Standpunkt immer mehr unter den Füßen wegrinnt. Bei Krisis kann man das momentan erkennen, wenn sie den Begriff des Subjekts kritisieren (siehe http://www.opentheory.org/subjekt3/text.phtml). Am Schluss bleibt nur noch radikale und fundamentale Kritik als Selbstzweck. Keimformen sind so nicht denkbar, weil letzten Endes schon der Gedanke daran zwingend korrumpiert ist.
Um es genauso platt zu sagen: Postoperaisten neigen zur Blauäugigkeit. Noch der kleinste Seufzer wird in ihren Augen zum Akt des Widerstands überhöht.
Auf theoretischer Ebene könnte man sie möglicherweise ganz ähnlich kritisieren, wie das Stefan in seinem Dschungel der Kooperation (http://www.opentheory.org/dschungel/text.phtml) mit der Freien Kooperation getan hat. Auch hier gewinnt man manchmal den Eindruck, dass die gesellschaftliche Ebene die es noch jenseits der Kooperationen und Institutionen gibt und die sich eben im Kapitalismus unter anderem im Wertgesetz zeigt, manchmal aus dem Blick gerät. Es wird nicht sichtbar, welche Aktionen der Multitude dazu geeignet sind, das Wertgesetz (oder auch das Patriarchat oder jedes andere fundamentale Herrschaftsverhältnis das nicht erschöpfend durch Institutionen beschreibbar ist) zu knacken und welche zu seinem Erhalt beitragen. Beim Lesen von Empire hatte ich jedoch das erste Mal das Gefühl, dass dort tatsächlich an der Lösung dieser Probleme gearbeitet wird. Allerdings blieb viel von diesen Versuchen für mich noch dunkel. Es ist viel die Rede vom Begriffspaar Immanenz/Transzendenz. Es wird betont, dass das Empire einerseits aus seiner Eigenlogik heraus zu immer mehr Immanenz strebt aber andererseits auf Transzendenz zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft angewiesen ist. Aus diesem Widerspruch speist sich die Möglichkeit zur Überwindung des Empire.
Bei Oekonux haben wir traditionell mehr mit dem wertkritischen Ansatz gearbeitet und ich will deswegen mit diesem Text auch ein bisschen Werbung für die andere Seite machen.
Meiner Meinung nach passt der Postoperaismus eigentlich besser zu Oekonux, weil ja der Selbstentfaltungs-Begriff und seine Herleitung aus der kritischen Psychologie, genau auf der spezifischen Möglichkeitsbeziehung des Menschen zur Welt aufbauen, also auf den Aktionsmöglichkeiten des Einzelnen, was doch prima zum Operaismus passt, während die Wertkritik sich da ein bisschen sperrt (insofern ist die Ablehnung der kritischen Psychologie durch das Krisisumfeld vielleicht nicht nur persönlichen Vorlieben geschuldet, sondern folgerichtig).
Die drei Rechte
Am Schluss des Buches gibt es ein Kapitel, das beschreiben soll, wie das Empire untergehen wird oder vielmehr bereits schon untergeht. Die Multitude kommt zu sich selbst, wird sich ihrer bewusst und entledigt sich der parasitären Herrschaft des Empire. Dies geschieht im Prozess der Durchsetzung dreier Rechte. Der Begriff des Rechts ist dabei mit vorsicht zu genießen, da es in diesem Fall nicht wirklich einen Adressaten gibt, von dem man diese Rechte einfordern könnte. Das Empire taugt ja mangels Zentrum gerade nicht als Adressat. Es geht also auch hier wohl eher um einen netzwerkartig verlaufenden Prozess. Was haben diese drei Rechte mit unserer Debatte zu tun?
- Das Recht auf Wiederaneignung
Das dürfte für unsere Diskussion das spannendste der drei Rechte sein, wie vielleicht folgendes Zitat ganz gut illustriert:
Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sondern wird auch selbst zunehmend zu einer Art Maschine, da die Produktionsmittel immer stärker in die Köpfe und Körper der Menge integriert sind. In diesem Zusammenhang bedeutet Wiederaneignung, freien Zugang zu und Kontrolle über Wissen, Information, Kommunikation und Affekte zu haben
- denn diese sind einige der wichtigsten biopolitischen Produktionsmittel. Doch die Tatsache allein, dass diese Produktionsmittel in der Menge selbst zu finden sind, bedeutet noch nicht, dass die Menge diese auch kontrolliert. Eher lässt das die Entfremdung davon noch niederträchtiger und verletzender erscheinen. Das Recht auf Wiederaneignung ist somit in Wahrheit das Recht der Menge auf Selbstkontrolle und autonome Eigenproduktion. (S. 413)
- Das Recht auf einen sozialen Lohn
Die Existenzgelddebatte hatten wir hier ja auch schon und ich habe meine Meinungen dazu - und insbesondere warum das für Freie Software relevant ist - ja auch schon mal zusammengefasst. Siehe: http://co-forum.de/index.php4?Grundsicherung%20und%20Oekonux.
Das in Empire geschilderte Recht auf einen sozialen Lohn erschöpft sich meiner Auffassung nach aber nicht in einer Existenzgeldforderung an den Staat sondern geht mehr in Richtung eines allgemeinen Rechts auf ein gutes Leben unabhängig von konkreten Tätigkeiten wie Arbeit - was sich in einer konkreten historischen Situation aber durchaus als Forderung an den Staat artikulieren kann. Allerdings finde ich eine der Schwächen des Buches, das diese erweiterte Sichtweise der Existenzgelddebatte nicht sehr explizit geschildert sondern sich eher aus dem Rest des Buches ergibt und vielleicht ja nur für mich... - Das Recht auf Weltbürgerschaft
Es geht um die Durchsetzung von Bewegungsfreiheit für die Menschen. Damit ist aber nicht nur gemeint, dass man sich physisch bewegen kann, sondern noch weitergehender, dass auch kulturell diese Bewegung wirklich lebbar wird. Wir haben uns bisher mit diesen Fragen noch nicht sehr viel befasst, dennoch denke ich, dass es auch hier einige Berührungspunkte gibt.
Zum einen ist Freie Software vielleicht genau auch eine Möglichkeit, die diese Bewegungsfreiheit zumindest im Virtuellen ermöglicht. Projekte für Linux in Entwicklungsländern oder an Schulen sind da vielleicht eine Richtung die versucht Ausgrenzungsmechanismen, die anders als die herkömmlichen Grenzen funktionieren zu unterlaufen.
Der kürzlich gemailte Veranstaltungshinweis auf das Grenzcamp in Strassburg enthielt auch einige Hinweise darauf, wie diese Fragen für uns wichtig werden könnten (Siehe: www.dsec.info).
In dieser Perspektive ist Freie Software geradezu das Paradebeispiel für Wiederaneignung und die Kämpfe um (Software-)Patente und Intellectual Property Rights sind die zentralen sozialen Kämpfe um dieses Recht.
Freie Kooperation und Empire
Wir haben ja über Christoph Spehrs Konzept der Freien Kooperation in der Vergangenheit viel und ausführlich diskutiert. Deswegen will ich kurz versuchen dieses Konzept mit Empire zu vergleichen. Zunächst einmal stechen die Ähnlichkeiten ins Auge. Beide Konzepte gehen von einer radikalen Immanenzperspektive aus. Es gibt kein Außen. Kein höheres Gesetz das unser Handeln leitet, sondern Geschichte entwickelt sich in sozialen Kämpfen. Dennoch gibt es natürlich auch wichtige Unterschiede.
Freie Kooperation geht in einem gewissen Sinne weiter als Empire, weil konkrete Bedingungen genannt werden nach denen man entscheiden kann, ob Kooperationen erzwungen oder Frei sind. Die drei Rechte ergeben sich dann eher folgerichtig aus diesen Überlegungen zusammen mit noch einigen anderen. Wie immer wenn man konkret wird, bietet man natürlich auch eine größere Angriffsfläche, so haben sich ja viele der Kritiken an Freier Kooperation, die wir diskutiert haben vor allem an diesen konkreten Kriterien orientiert und diese als systemkonform ausgemacht. Das ist ein prinzipielles Problem mit der Immanenzperspektive, denke ich und zu Empire wird man ähnliches sagen können (und manche der am wenigsten inspirierenden Verrisse haben genau das getan). Ich denke jedoch auch, dass es keine Alternative zu dieser Perspektive gibt, wenn man irgendeine praktische Bedeutung entfalten will.
Empire geht in einem gewissen Sinne aber auch weiter als Freie Kooperation. In Software-Engineering-Sprache gesprochen ist Freie Kooperation der Bottom-Up-Ansatz, während Empire nach dem Top-Down-Prinzip funktioniert. Freie Kooperation hat gesamtgesellschaftliche Verhältnisse nur als Kooperation von Kooperationen von Kooperationen im Blick, was deren Analyse manchmal erschwert. Empire funktioniert umgekehrt. Von den globalen juridischen, ökonomischen und politischen Verhältnissen wird die Macht der Multitude abgeleitet. Das gewährleistet einen besseren Blick auf die globalen Phänomene aber naturgemäß bleibt die Sicht auf die Alltagsphänomene etwas unscharf und eben "von oben herab".
In Christophs Buch Die Aliens sind unter uns findet sich ja neben dem Konzept der Freien Kooperation, das dort eher am Rande behandelt wird, auch eine ausführliche Diskussion aktueller Herrschaftsverhältnisse. Wenn man die dort beschriebenen "Zivilisationen" (Aliens, Zivilisten, Maquis, Faschisten) mit den in Empire beschriebenen Kategorien in Verbindung bringt, ergibt sich für mich folgendes Bild: Die Aliens sind eigentlich identisch mit dem Empire, Maquis und Zivilisten bilden die Multitude und der Faschismus kommt nicht wirklich in mehr als einer Nebenrolle vor. Darin liegt für mich auch eine besondere Stärke des Konzeptes der Zivilisationen. Zur Multitude gehört man immer irgendwie dazu und muss sich nicht mal besonders anstrengen während Christoph den Moment der Wahl, zum Maquis zu gehen oder eben Zivilist zu bleiben, betont. Natürlich ist an beiden Sichtweisen was dran, nur in Empire wird letzteres oft etwas unterschätzt und vielleicht ergibt sich gerade daraus der Eindruck der Blauäugigkeit und des übertriebenen Optimismus, den viele beim Lesen des Buches haben.
Fazit
Empire wimmelt von Anknüpfungspunkten an unsere Diskussion und deswegen kann ich jedem nur empfehlen sich durch das Buch durchzuwühlen. Aber auch ohne das alle das Buch gelesen haben, könnten wir ja trotzdem vielleicht manche der Sichtweisen, die dort aufgezeigt werden verstärkt in unserer Diskussion berücksichtigen. Das würde mich freuen. Gerade eben hab ich eine Mail gekriegt, dass die WAK-Leute einen Workshop zu Empire auf dem Kongress planen. Scheinbar haben also auch schon andere die Relevanz des Buches für unsere Diskussion entdeckt. Für mich noch ein Grund mehr, mich auf Berlin zu freuen.
Dieser Text kann unter http://www.opentheory.org/fs_empire/ diskutiert werden.