Projekt Hostsharing eG

Uwe MüllerMail link

Übertragung der Prinzipien Freier Software/Open-Source auf ein Wirtschaftsmodell übertragen, wie geht das?

Entstehung

Die Idee zu Hostsharing entstand im Frühjahr 2000 aus den gemischten Erfahrungen mit bestehenden Anbietern im Umgang mit ihren Kunden und den vorhandenen Angeboten im Web-Hosting-Bereich. Aus einem ersten Versuch einen "besseren" Anbieter zu gründen, ging eine Open-Source-Fraktion hervor, die erstmals versuchen wollte, die Prinzipien von Open-Source/Freier Software auf ein Geschäftsmodell zu übertragen.

Im Mai 2000 ging eine erste Web-Site ans Netz, in der die ersten Ideen zur technischen und praktischen Umsetzung diskutiert wurden. Hauptaufgabe war zu diesem Zeitpunkt die Suche nach weiteren Interessenten.

Die folgenden Monate wurden mit der Evaluierung der geeigneten Rechtsform und der möglichen technischen Struktur verbracht.

Am 6.12.2000 wurde schließlich in Hamburg die Gründungsversammlung der Hostsharing eG i.Gr. abgehalten. Ein erster, wichtiger Schritt war damit erreicht.

Die Idee

Hostsharing eG versucht den Gedanken von Open-Source auf Internetdienstleistungen zu übertragen. Ziel ist dabei, die Philosophie von Open-Source auf ein wirtschaftlich, tragfähiges Geschäftsmodell zu übersetzen.

Dieses Geschäftsmodell muss in seinen Grundfesten offene Kommunikation, Transparenz, weitgehende Mitbestimmung der Teilnehmer und einen offenen Know-How-Austausch erlauben um die Philosophie von Open-Source zu bewahren und im täglichen Geschäft praktizieren zu können. Im einzelnen sind dies:

offene Kommunikation

Mitbestimmung

Transparenz

offener Know-How-Austausch

Die Anforderungen an ein geeignetes, praktikables Geschäftsmodell waren somit umfassend festgelegt. In unserer Vorbereitungsphase wurden verschiedene Rechtsformen evaluiert, z.B. GmbH, AG, wirtschaftlicher Verein, etc. Diese Möglichkeiten schieden aber aus folgenden Gründen aus:

Die Rechtsform der Genossenschaft erfüllt im wesentlichen unsere Anforderungen an ein Geschäftsmodell, sie ermöglicht eine per Gesetz und damit Personen unabhängige, festgelegte Mitbestimmung der Mitglieder und Transparenz in wichtigen technischen und finanziellen Fragen (z.B. Offenlegung des Geschäftsberichtes, Entlastung des Vorstandes/Aufsichtsrat). Die Haftung eines Mitgliedes ist auf das Genossenschaftsvermögen beschränkt, es besteht also eine Sicherheit des Einzelnen im Falle einer Insolvenz. Weiter bietet sie die Möglichkeit über Geschäftsordnungen die interne Struktur weitgehend den eigenen Bedürfnissen anzupassen und ermöglicht die wirtschaftliche Förderung seiner Mitglieder.

So konnten wir z.B. die Einstiegsschwelle zur aktiven Mitsprache unserer Mitglieder, durch die Einführung der virtuellen Mitgliederversammlung (vMV) drastisch senken. Die vMV bietet unseren Mitgliedern die Möglichkeit über die in unserer Branche üblichen Diskussionstechniken (E-Mail, Foren, etc.) direkt an wichtigen Entscheidungen der Genossenschaft mitzuwirken ohne persönlich anwesend zu sein. Die Generalversammlung, kann die Beschlüsse der vMV bestätigen oder ablehnen. Diese Regelung ist ebenfalls in einer Geschäftsordnung verankert. Eine leichtfertige Änderung der Geschäftsordnung ist nicht möglich, da die Zustimmung von ¾ der Teilnehmer benötigt wird.

Die Gründungskosten einer Genossenschaft halten sich deutlich in Grenzen, allerdings sollte der Zeitrahmen einer Gründung großzügig ausgelegt werden, da alle mit einer Gründung verbundenen Einreichungen (Registergericht, Notar, Verband) u.U. mehrere Monate benötigen.

Die Genossenschaft und Freie Software/Open-Source haben eine große gemeinsame Schnittmenge, die es zu nutzen gilt. Somit ist die Genossenschaft die ideale Wirtschaftsform, um Freie Software/Open-Source unter Wahrung seiner Philosophie auf ein Wirtschaftsmodell zu übertragen.

Genossenschaft Freie Software
Mitbestimmungsrecht Offene Kommunikation
Kontrolle Kontrolle durch Community
Einfache Ein- und Austritte Niedrige Einstiegsschwelle
Mitgliederfördernd Scratch-Your-Own-Itch
Individuelle Gestaltung Individualität von OSS
Wirtschaftliche Förderung Know-How-Austausch
Gründungskosten / Kapitalbedarf gering Jeder kann mit machen

Formale Grundlagen

Die Basis ist zunächst das Genossenschaftsgesetz (GenG). Dieses regelt die grundsätzlichen Rechte und Pflichten der Mitglieder, Organe und Gremien.

Aufbauend auf den wenigen Vorgaben des GenG wird die Satzung der Genossenschaft entwickelt. Die Satzung kann weitestgehend frei durch die Mitglieder gestaltet werden, sie beinhaltet u.a. den Geschäftszweck und regelt den Umgang der Mitglieder, Organe und Gremien miteinander. In der Satzung wird ebenfalls die Basis für unsere vMV gelegt.

Ableitend aus der Satzung werden die Geschäftsordnungen erstellt. Auch hier ist eine freie Gestaltung durch die Mitglieder möglich, Ausnahmen sind Vorstand und Aufsichtsrat, diese erstellen ihre Geschäftsordnungen selbst, das Mitglied hat normalerweise keinen Einfluss darauf. Der Vorstand von Hostsharing hat allerdings die Mitglieder um ihre Meinung gebeten.

Im Falle der Geschäftsordnung für den Vorstand, haben wir uns z.B. verpflichtet, bei "größeren" Entscheidungen, die Meinung der Mitglieder einzuholen. Wir halten es für notwendig, die Mitglieder an möglichst vielen Punkten aktiv mit einzubinden, zum einen als vertrauensbildende Maßnahme und als eine Möglichkeit, die Mitglieder an die notwendigen Entscheidungen der politischen Unternehmensführung aktiv zu beteiligen. Es sollte an jeder möglichen Stelle in den Geschäftsordnungen und der Satzung diese Möglichkeit genutzt werden, denn nur auf diesem Weg, kann die weitgehende Mitbestimmung der Mitglieder auch praktisch gelebt, und der Einstieg zum Mitmachen niedrig gehalten werden.

Unsere Betriebsordnung regelt schließlich den technischen Bezug von Hostsharing. Hierzu zählt z.B. die Serversicherheit und die Funktionalität des Servers. Die Betriebsordnung gilt auch in Bezug zu den Kunden von Mitgliedern.

Festzuhalten ist ferner, das sich die Geschäftsordnungen und die Betriebsordnung im Kontext weiterer gesetzlicher Vorgaben bewegen müssen, die sich aus dem BGB oder HGB ergeben. Demnach ist auch der Vorstand für sein Handeln persönlich haftbar.

Entscheidungsstrukturen

Die Entscheidungsstrukturen lassen sich in drei Phasen unterteilen, Diskussionsphase, Entscheidungsphase und Beschlussphase. Auf formaler Basis sind hierbei die Satzung und die Geschäftsordnungen beteiligt.

In der Diskussionsphase wird ein Meinungsbild erstellt, dieses kann ggf. durch Abstimmungen verifiziert werden. Diese Phase ist für alle Entscheidungen gültig. Diskutiert wird auf unseren Mailinglisten/Foren. Sind Entscheidungen zu treffen, die den geschäftlichen und technischen Alltag betreffen, werden keine weiteren Phasen mehr eingebunden. Auf diesem Weg lässt sich sehr schnell und für alle Beteiligten sehr effektiv ein Konsens finden. Ist es nicht möglich das die Mitglieder einen Konsens erreichen, trifft der Vorstand eine Entscheidung, die sich nach den sachlichen Gegebenheiten richtet. Rechtliche Grundlage ist die Satzung der Genossenschaft

In der Entscheidungsphase werden grundlegende Entscheidungen von der virtuellen Mitgliederversammlung getroffen, dies betrifft zum Beispiel die Abwahl von Aufsichtsräten oder die Entlastung des Vorstandes ebenso, wie Regelungen über eine Vergütung der aktiven Mitglieder usw. Den Rahmen für die vMV bildet die entsprechende Geschäftsordnung. Diese legt den Zeitrahmen der vMV, die Möglichkeiten der Einberufung usw. fest. Die Diskussionen erfolgen wiederum auf unseren Mailinglisten/Foren. Am Ende jeder vMV werden über die diskutierten Anträge abgestimmt.

Die vMV ermöglicht jedem Mitglied auf einfache Art und Weise an der inhaltlichen Gestaltung der Genossenschaft mitzuwirken, unabhängig von seinem Aufenthaltsort. Die Einstiegsschwelle ist somit sehr niedrig gehalten und den bekannten Medien zum Informationsaustausch angepasst.

Die Beschlussphase wird durch die Generalversammlung gebildet. Die Generalversammlung ist das höchste Organ innerhalb der Genossenschaft, sie kann nur die Entscheidungen der vorhergehenden vMV beschließen. Sollte die Generalversammlung dies nicht tun, so kann sie die Entscheidungen der vMV nur ablehnen. Die Anträge werden in diesem Fall an die vMV zurückgegeben, die erneut einberufen werden muss. In einem möglichen zweiten Durchlauf hat die Generalversammlung aber die Möglichkeit, sich anders zu entscheiden und ist beschlussfähig. Bisher mussten wir diese Möglichkeit nicht nutzen. Die Grundlage zur Generalversammlung ist die entsprechende Geschäftsordnung und die vMV. Die Verknüpfung der Geschäftsordnungen der vMV und der Generalversammlung ermöglicht wiederum die direkte Einflussnahme aller Mitglieder auf die grundsätzlichen Entscheidungen der Genossenschaft. Die ursprüngliche Vorgabe, laut GenG, ist eine persönlichen Teilnahme an der Generalversammlung oder eine Vertretung durch anderes Mitglied. Die Möglichkeit der Vertretung ist mit einem gewissen formellen Aufwand verbunden und zudem auch abhängig von der Anzahl der tatsächlich anwesenden Mitgliedern, die Anzahl der pro Anwesenden zu vertretenden Mitgliedern ist eingeschränkt.

Wie deutlich wird, sind die Entscheidungstrukturen sehr flexibel ausgelegt und gehen weit über das hinaus, was laut GenG vorgeschrieben ist. Dieses Art der Mitbestimmung ist nicht einfach zu verändern, da für eine Änderung der Geschäftsordnungen eine wesentliche Stimmenmehrheit der Mitglieder zustande kommen muss. Somit ist es auch weitestgehend Personen unabhängig.

Kommunikation/Organisation

Hostsharing ist absolut dezentral organisiert. Dies hat zum einen den Grund, den finanziellen Overhead möglichst klein zu halten und in den verteilen Aufenthaltsorten der aktiven Mitglieder. Daher ergibt sich als Folge für die tägliche Arbeit, das diese auch möglichst dezentral erledigt werden muss, und die Mittel dafür an jedem Ort und zu jeder zeit erreichbar sind. Dieses wird durch die gewählten Kommunikationsmittel und technische Einrichtungen erreicht, diese entsprechen den Arbeitsgewohnheiten der aktiven Mitglieder und lassen sich problemlos in den eigenen Alltag einfügen. Damit steigt auch die Motivation, sich aktiv an Hostsharing zu beteiligen. Die Dezentralisation spiegelt sich auch in der vMV und der Generalversammlung wieder, die entsprechend ausgelegt sind.

Bisher ist unsere Kommunikation auf der Basis von Mailinglisten organisiert. Sie haben den Vorteil, das sie sehr einfach zu handhaben sind und auch auf allen Systemen, ohne große Vorbedingungen zu erfüllen, zu nutzen sind. Mittelfristig ist an die Einrichtung von Foren gedacht. Für Vorstandssitzungen ist weiter an den Einsatz von Videokonferenzen gedacht, in ferner Zukunft auch für Generalversammlungen.

Trotz der mittlerweile fast einhundert Mitglieder, haben bisher keine gravierenden Probleme auf unseren Listen zu verzeichnen. Dies gilt für die Anzahl der täglichen Mails, für das Verhalten der Mitglieder und auch für die Kommunikation an sich.

Die Arbeit wird von den Funktionmitgliedern und Hostmastern in der Aufbauphase bisher ehrenamtlich durchgeführt. In Anbetracht der bisherigen Größe der Genossenschaft und der dezentralen Arbeitsstruktur und Arbeitsteilung ist dies ohne Probleme möglich und in der Aufbauphase unabdingbar, wenn man auf einer seriösen finanziellen Basis aufbauen will. Sehr wichtig ist uns in diesem Punkt auch die Unabhängigkeit von Dritten, hier z.B. Kreditgeber.

Für die Zukunft ist allerdings eine reguläre Bezahlung geplant. Einen ersten Schritt in dieser Richtung in die Verabschiedung einer Vergütungsregelung im Juli 2002.

Finanzielle Struktur

Die finanzielle Struktur beruht auf drei Säulen: kostendeckende Nutzungsentgelte, Beteiligung am Arbeitsbedarf, Beteiligung am Kapitalbedarf.

Kosten deckende Nutzungsentgelte sorgen für eine faire Kostenverteilung nach dem Verursacherprinzip. Sie sind transparent, vertrauensbildend und ermöglichen die Nachvollziehbarkeit. Jeder zahlt weitestgehend das, was er nutzt.

Beteiligung am Arbeitsbedarf ermöglicht eine kostengünstige Kalkulation der Dienstleistungen. Das Mitglied ist kein "nur"-Konsument. Es muss selbst eine Eigenleistung erbringen, durch die eigene Konfiguration seines Paketes. Das Mitglied ist also sein eigener Hoster.

Die Beteiligung am Kapitalbedarf wird durch die Mitglieder in Form der Geschäftsanteile aufgebracht. Ein Anreiz zur Übernahme mehrerer Geschäftsanteile ist die Auszahlung von Überschüssen entsprechend der gezeichneten Geschäftsanteile. Die Geschäftsanteile sind wie eine Aktie zu betrachten, auch bekannt als die Aktie des kleinen Mannes.

Die drei Säulen sorgen für eine seriöse finanzielle Grundlage. Kapitalgewinne sind sehr eng an tatsächliche Leistungen geknüpft, im Gegensatz z.B. zu einer AG. Zudem sorgt diese Struktur für eine enge Einbindung der Mitglieder in die finanzielle Basis der Genossenschaft. Ein Anreiz für die Übernahme mehrere Geschäftsanteile ist die Auszahlung von Überschüssen entsprechend der gezeichneten Geschäftsanteile.

Fazit

Nach zwei Jahren Hostsharing ist festzuhalten, das unser Konzept, die Philosophie von Freier Software/Open-Source, Offenheit und Transparenz in ein Wirtschaftsmodell zu übertragen, sich bisher bewährt hat. Der Mitgliederzuwachs ist mittlerweile zufriedenstellend und die vermieteten Webhosting-Pakete liegen über dem Plansoll.

Anfängliche Probleme lagen vor allem in einem zu hohen Geschäftsanteil, der viele potenzielle Interessenten abgehalten hat. Wir haben ferner in vielen Gesprächen festgestellt, das unser Modell einer Genossenschaft einen hohen Aufklärungsbedarf hat.

Die Identifikation mit Hostsharing sehen wir bei unseren Mitgliedern als sehr hoch an. An wichtigen Abstimmungen beteiligen sich ca. 50% der Mitglieder. Die Kündigungen von Mitgliedschaften ist sehr gering, als Kündigungsgrund wurden in erster Linie technische oder private Gründe angegeben. Hostsharing selbst hat bei dieser Entscheidung scheinbar keine Rolle gespielt. Auch die massiven technischen Probleme im Frühjahr 2002 haben zu keiner Austrittswelle geführt, im Gegenteil, die Mitglieder haben sich sehr engagiert und den Verantwortlichen in aktiver Art und Weise das Vertrauen weiterhin ausgesprochen. Nach zwei Jahren Aufbauarbeit können wir sehr zuversichtlich in die Zukunft blicken.